Nach einem Sommer der moderaten Lockerungen, in dem sich Amtsträger*innen wie Jens Spahn und Helge Braun dazu hinreißen ließen, zu versichern, dass es keinen weiteren Lockdown brauchen würde, erleben wir seit November täglich, wie falsch diese Einschätzung war.
Viel gelernt wurde daraus allerdings nicht. Immer wieder verliert sich die politische Debatte in Durchhalteparolen. Schon im November sprachen viele vom „Wellenbrecher-Lockdown“, mittlerweile sind wir beim „Brücken-Lockdown“ und dazwischen gab es noch diverse ähnliche Versuche. Die Gemeinsamkeit findet sich im Versprechen, dass wir uns als Gesellschaft „nur noch einmal kurz zusammenreißen“ müssten und es anschließend dann auch schnell wieder viel besser würde. Ein bisschen wie bei einem Pflaster, das man lieber zügig abreißt als Millimeter für Millimeter. In der Theorie klingt das zum Durchbrechen von Infektionsketten sehr sinnvoll, an der Wirklichkeit sind diese Pflaster-Lockdowns jedoch immer wieder deutlich gescheitert.
Bevor ein Infektionsgeschehen eskaliert, bevor die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar sind und sich das Wachstum der Infektionszahlen exponentiell entwickelt, lassen sich regionale Schranken einziehen. So ist es möglich in Hotspots zu reagieren und Schlimmeres zu verhindern. Dauerhaft und deutschlandweit ist das aber kaum möglich.
Die Akzeptanz der Maßnahmen ist in Umfragen im gesamten Bundesgebiet zwar weiterhin hoch und auch härtere Maßnahmen werden nach wie vor befürwortet, im individuellen Handeln muss sich diese Haltung allerdings nicht zwangsläufig auch so niederschlagen. Es ist sehr wohl möglich, in einer Umfrage für einen „harten Lockdown“ zu stimmen und am Sonntag doch noch die Inge, den Mario sowie ein bis zwei weitere Haushalte zum Bienenstich einzuladen, weil „da bestimmt nichts passiert“ und auch Inge und Mario ja auch sonst sehr vernünftige Leute sind. Dabei wird allzu gerne vergessen, dass kein Mensch seine*ihre Infektion vorher geplant hat. Die stärksten Infektionstreiber sind weiterhin vor allem die privaten Zusammenkünfte, bei denen die Mehrheit der Bevölkerung scheinbar davon ausgeht, dass da schon nix schief gehen wird. Dieser Bereich ist allerdings kaum gesellschaftlich akzeptabel durch den Staat regulierbar, wodurch dann unliebsame Behelfsmaßnahmen, wie etwa die Ausgangssperre, entstehen.
Wir brauchen schärfere Maßnahmen. Etwa in Großraumbüros. Zudem sollten Arbeitgeberinnen verpflichtet werden, alle Beschäftigten in ihren Betrieben regelmäßig zu testen. Das schließt übrigens auch diejenigen mit ein, die ihre Arbeitnehmerinnen über Tochtergesellschaften, Zeitarbeitsfirmen, etc über Bande beschäftigen.
Was wir jedoch ebenfalls brauchen, sind auch veränderte Strategien. Die Differenzierung von Drinnen und Draußen ist sehr wichtig und in der aktuellen Debatte wird dies noch zu wenig berücksichtigt. Nur weil gerade viele Menschen gleichzeitig an einem Strand sind, muss das kein Infektionsherd sein. Im Infektionsgeschehen macht es eben einen Riesenunterschied, ob man sich draußen bei Wind und Wetter trifft oder in der Bude.
Pflaster-Lockdowns sind theoretische Lösungen, die von einer Gesellschaft in einer isolierten Petrischale ausgehen. Die Wirklichkeit ist oft eine andere und ein Stillstand aller Teile einer Gesellschaft kaum vorstellbar. In Anbetracht der ernsten Lage wird es aber weitere Maßnahmen geben, das ist auch richtig. Durchhalteparolen à la „jetzt nur noch kurz“, sind mittlerweile jedoch zu vollkommen sinnentleerten Phrasen verkommen und zeugen damit von unseriöser und extrem schlechter Kommunikation in einer Krise.
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