Welche gesellschaftliche Verantwortung tragen Unternehmen? Keine. Dieser Auffassung war zumindest Milton Friedman, einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler*innen des 20. Jahrhunderts.
In seinem Essay The Social Responsibility Of Business Is to Increase Its Profits, erschienen am 13. September 1970 in der New York Times, rief Friedman vor genau 50 Jahren zum alleinig profitorientierten Unternehmertum auf. Zwar gibt es dazu zahlreiche – auch wissenschaftliche – Kritiken, aber das Jubiläum zum Anlass nehmend, möchte auch ich hiermit eine kurze Entgegnung formulieren.
Was genau hat aber Friedman gefordert? Letztlich ging es ihm um einen relativ ätzenden Debattenbeitrag zur Frage welche gesellschaftliche Verantwortung Unternehmen tragen müssten. Nach zahlreichen Unternehmensskandalen und Protesten der 1960er Jahre, wurde nämlich die Diskussion um die Rolle von Unternehmen immer lauter. Friedman selbst formuliert die Themenfelder, um die es ging folgendermaßen:
„[…] responsibilities for providing employment, eliminating discrimination, avoiding pollution and whatever else may be the catchwords of the contemporary crop of reformers.“
Interessant, wie dieser Satz irgendwie auch im Jahr 2020 aus der Feder von Friedrich Merz oder Hans-Werner Sinn stammen könnte.
Friedman spricht Unternehmen jegliche gesellschaftliche Verantwortung ab. Diese, so Friedman, könnten nur Privatpersonen tragen, nicht aber Unternehmen. So könnten Unternehmer*innen zwar gerne spenden, aber grundsätzlich besteht ihr Auftrag als Unternehmer*in nur darin, möglichst viel Profit zu erwirtschaften und dabei die Rahmenbedingungen, die der Staat setzt, so gut wie möglich zu nutzen. Diese individuelle Verantwortung zeige sich aber vornehmlich im Verhältnis zu Kirche, Familie, Vaterland und Co.
Die gesellschaftliche Pflicht erfüllt ein Unternehmen allerdings durch das Zahlen von Steuern und das Erfüllen von Erwartungen der Aktionär*innen, Mitarbeiter*innen und Kund*innen. Andere Interessen seien irrelevant. Und jede*r Unternehmer*in, die andere Ziele verfolgt, bediene sich, gemäß Milton Friedman, des Geldes von Aktionär*innen, Mitarbeiter*innen und Kund*innen. Soweit der Kern des vor 50 Jahren im New York Times Magazine veröffentlichten Essays. Und jetzt?
Milton Friedman hat Generationen von Wirtschaftswissenschaftler*innen und CEOs mit seinem Ansatz geprägt. Friedman war nicht nur weltbekannter Wissenschaftler, sondern erlangte bereits zu Lebzeiten einen Kultstatus, der ihm zahlreiche Medienauftritte ermöglichte.
Es gibt zahlreiche kritische Anmerkungen zur „Friedman Doctrine„, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte. Und es gibt zahlreiche Fans. Und das ist gefährlich, denn die Thesen von Friedman sind längst überholt und stehen für ein Wirtschaften, das wir uns schlichtweg nicht länger leisten können, aber eben noch häufig erleben.
Auch Staaten legen etwa ihre Finanzanlagen in der Regel nach drei Kriterien an:
- Rendite
- Sicherheit
- Liquidität
Umso wichtiger ist es, dass wir mit der „Finanzstrategie Nachhaltigkeit in Schleswig-Holstein“ (kurz: FINISH) dieses „Anlagedreieck“ um den einen wichtigen Punkt erweitern: Nachhaltigkeit. Das klingt schwammig, hat aber große Auswirkungen; auch auf das bessere Erreichen der anderen drei Parameter. Wie das genau passieren wird, könnt ihr im entsprechenden Gesetzesentwurf (.PDF) gerne nachlesen. Denn die These Friedmans, dass die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung, der Performance des Unternehmens schade, wird insbesondere in der Debatte um ESG-Kriterien bei der Geldanlage immer wieder widerlegt.
Und obwohl der Ansatz von Friedman sich bis heute durch viele Chef*innenetagen zieht, wurde die Basis für Veränderungen durchaus gelegt. Seit den 1980er Jahren gibt es an den wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Hochschulen wie etwa Wharton oder Harvard, Lehrstühle für Unternehmensethik. Heute gibt es praktisch keine Business School ohne entsprechende Lehrinhalte.
Ferner haben Unternehmen längst erkannt, dass es einen unternehmerischen Vorteil durch das Übernehmen von Verantwortung gibt, der über den Marketingeffekt hinausgeht. Und dass das Verweigern von Verantwortung zu massiven Schäden führen kann. Zahlreiche CEOs erkennen zurzeit ihre Position und Rolle in der Gesellschaft und können so eine neue Form des Unternehmer*innentums entwicklen, die über peinliche Charity-Aktionen hinausgeht. Friedman hingegen nennt engagierte CEOs
„unwitting puppets of the intellectual forces that have been undermining the basis of free society“
und viele alte hanseatische Patriarchen würden dem sicher zustimmen, merken dabei aber nicht, wie die Welt an ihnen vorbeizieht. Zumal viele junge Talente nicht länger bereit sind, in solchen Unternehmenskulturen zu arbeiten. Fachkräftemangel ist oft auch einfach die Folge von Haltungsmangel in den Chef*innenetagen.
TL;DR
Es ist wichtig einen Blick zurückzuwerfen, um nachzuvollziehen wie wir in die Lage gekommen sind in der wir uns befinden. Und wieso einige Konflikte so zäh sind. Etwa der Konflikt um die externen Kosten, die viele Unternehmen verursachen und sich gänzlich unverantwortlich empfinden und verhalten. Und warum wir umso deutlicher auf diese Kosten hinweisen müssen und Unternehmen zur Verantwortung ziehen müssen.
Denn niemand fordert von Unternehmen alle Probleme zu lösen. Vielleicht jedoch die in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld? Oder vielleicht wäre es immerhin ein Ansatz, wenn sie nicht das Problem selbst wären, sondern Teil der Lösung? Das wäre ja schon mal was!
Schreibe einen Kommentar